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Pflanzen sind auch Lebewesen.

Bild: dkimages / stock.adobe.com

Pflanzen sind auch Lebewesen!

Seltsamerweise ist diese Aussage einer der am häufigsten vorgebrachten Einwände gegen vegane und vegetarische Ernährung.

Da es sich in Wirklichkeit um ein reines Killerargument handelt, das nichts weiter besagt, als dass der Betreffende nicht gewillt ist, auch nur ein Jota von seiner vorgefassten Meinung abzuweichen, sollten Sie versuchen, das Gespräch raschmöglichst zu beenden. Fragen Sie, ob er das ernst meint oder ob Sie ihm tatsächlich den Unterschied zwischen einer Kartoffel und einem Rind erklären müssen. Versichern Sie ihm, dass Sie nicht die Absicht hegen, ihn von einer vegetarischen Lebensweise zu überzeugen.

Mit etwas Glück kehrt Ruhe ein, aber die Meisten werden nicht so einfach aufgeben. Sie scheinen sogar zu erwarten, dass man in solchen Diskussionen mangels Antwort auf die vielen Pseudoargumente Erleuchtung erfährt, von seiner abweichlerischen Meinung abkehrt, dem Gesprächspartner mit grossen Augen zustimmt und ab sofort (wieder) Fleisch und Fisch isst (umgekehrt haben manche Veganer und Vegetarier jeweils eine ähnliche Erwartungshaltung). Er oder sie wird also möglicherweise weiterhin auf diesem Scheinargument herumreiten.

Dahinter steht die nicht zu leugnende Tatsache, dass alle Tiere, auch Pflanzenfresser, andere Organismen zur Selbsterhaltung verzehren. Ist es falsch, Tiere zu züchten und zu verzehren, weil man ihnen dadurch Leid zufügt, so die Schlussfolgerung, sei es ebenso falsch, Pflanzen zu essen und ihnen so Leid zuzufügen. Da wir zum Überleben Nahrung brauchen, sei es nicht von Belang, ob wir nun ein Tier töten oder eine Pflanze (das wäre allenfalls ein Argument dafür, Frutarier zu werden). Ein logisches Gegenargument ist der sanfte Hinweis, dass ein Vielfaches an Pflanzen notwendig ist, wenn wir erst Tiere damit füttern, um uns dann von ihnen zu ernähren. Davon zeigt sich der Fleischverfechter jedoch in der Regel herzlich unbeeindruckt. Fressen und gefressen werden hält er für den natürlichen Lauf der Dinge, was wohl damit zusammenhängt, dass für den Menschen Letzteres nur in Ausnahmefällen zutrifft (sonst hätte er vermutlich mehr Verständnis für jenen Teil der Tierwelt, den er zum Nahrungsmittel degradiert). Das als Argument geführte „Leid der Pflanze“ zählt plötzlich nur für den, der Tiere nicht essen will.

Erfolg versprechender scheint der Ansatz, auf das komplexe Zentralnervensystem und das Gehirn der Tiere hinzuweisen, auf die offensichtliche Fähigkeit, Freude und Leid zu empfinden. Der Argumentierende wird das damit beantworten, dass Forscher nachgewiesen hätten, dass Pflanzen auf Umwelteinflüsse wie beispielsweise Musik reagieren und sehr wohl Schmerzen empfinden könnten (Ersteres stimmt, Zweiteres wurde nie bewiesen). Er wird fortfahren, Tiere und indirekt sich selbst auf die Gefühlsfähigkeit einer Birne zu reduzieren (und im Gespräch hat man das Gefühl, dass das eher auf den Intellekt zutreffen könnte). „Woher willst du wissen, dass Pflanzen keinen Schmerz fühlen?“, wird er nun fragen und dabei versuchen, möglichst tiefsinnig und schlau in die Weltgeschichte zu gucken. „Ich weiss, dass Tiere Schmerz empfinden“, bleibt die einzige Antwort, was unser Gesprächspartner mit einem vielsagenden Blick wegwischen wird (das Grundproblem ist hauptsächlich, dass ihm dieser Umstand vollkommen gleichgültig ist, so wie es ihm einerlei ist, ob Pflanzen nun tatsächlich Leid empfinden können oder nicht. Es geht nicht um die Pflanze, sondern um reine Rhetorik).

Oft hilft es, nach diesem hoffentlich eher kurzen Geplänkel darauf hinzuweisen, dass jeder zwischen Lebewesen unterscheidet, die als Nahrungsmittel dienen und solchen, bei denen so etwas niemals in Frage kommt. Der Fleischkonsument zieht diese Grenze mehr oder weniger willkürlich bei bestimmten Tieren; Haustiere kommen beispielsweise meistens nicht in Frage. Mischköstler sind mehrheitlich entsetzt, wenn ich Verwandte erwähne, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs Schäferhunde gezüchtet und geschlachtet haben, um die auch in der Schweiz knappe Lebensmittelversorgung unbemerkt aufzubessern. Vegetarier und Veganer ziehen diese Grenze konsequenter und nachvollziehbarer, indem sie Tiere aus der Klasse der Nahrung ausschliessen.

Eigentlich wären ja durchaus spannende Gespräche zum Thema möglich, weil es um Ethik und Moral geht, um den ökologischen Fussabdruck, um die Eigenschaften der Tiere, so auch ihre kognitiven Fähigkeiten (Forscher stellen derzeit fest, dass sie deutlich höher sind als gemeinhin vermutet). In solchen Fällen entsteht jedoch kein tiefergreifender Meinungsaustausch, da das behauptete Pflanzenleid lediglich als Killerargument dient. Diskussion zwecklos, ja unmöglich.